Potenzialausschöpfung - Länder und Kreise nutzen ihre Potenziale sehr unterschiedlich

Länder und Kommunen unterscheiden sich teils deutlich in ihrer regionalen Sozial- und Wirtschaftsstruktur: Es gibt einkommensschwache Regionen, wirtschaftsstarke Kommunen mit einer hochqualifizierten Bevölkerung oder Landstriche, in denen kaum Erwerbstätige leben. All das hat Einfluss auf die Weiterbildungsbeteiligung. Die entscheidende Frage ist, wie gut Länder und Kommunen ihre Voraussetzungen nutzen. Gelingt es ihnen also, auch bei ungünstigen Bedingungen viele Menschen für Weiterbildung zu aktivieren? Oder liegen sie trotz guter struktureller Voraussetzungen unter ihren Möglichkeiten? Eine Antwort auf diese Fragen gibt die Potenzialausschöpfung. Sie ist ein geeignetes Maß, um strukturell starke und schwache Kommunen miteinander vergleichen zu können.

Für jedes Land und jede Kommune lässt sich berechnen, wie viele Menschen dort theoretisch an Weiterbildung teilnehmen sollten. Bei den Bundesländern ergibt sich die zu erwartende Weiterbildungsbeteiligung aus den sozialen, wirtschaftlichen und demographischen Merkmalen ihrer Bevölkerung. Dazu zählen u. a. die Altersstruktur, die Bildungssituation oder die Einkommensverhältnisse. Auf Kreisebene fließen noch siedlungs- und infrastrukturelle Faktoren (z. B. Einwohnerdichte und Verkehrsanbindung) in den statistischen Erwartungswert mit ein sowie auch gesamtwirtschaftliche Aspekte (z. B. die wirtschaftliche Stärke). Berücksichtigt man all diese Faktoren, ist beispielsweise für die Städte Heidelberg und Emden eine unterschiedliche Weiterbildungsquote zu erwarten: Mit einer jüngeren Altersstruktur in Heidelberg, geringen Fahrzeiten zum Oberzentrum sowie einer relativ starken Bruttowertschöpfung ist hier statistisch mit einer stärkeren Beteiligung zu rechnen als in Emden, wo der Altersdurchschnitt etwas höher ist, die Fahrzeiten länger sind und die Wirtschaftskraft geringer ausfällt.

Um Länder und Kreise trotz ihrer unterschiedlichen strukturellen Bedingungen miteinander vergleichen zu können, wurde ihre Potenzialausschöpfung ermittelt. Sie zeigt an, um wie viel Prozent die tatsächliche Beteiligung von der zu erwartenden Beteiligung abweicht. Der Erwartungswert entspricht dabei für jedes Land und jeden Kreis 100 Prozent. Liegt die regionale Potenzialausschöpfung unter 100, nutzt ein Land bzw. Kreis seine strukturellen Voraussetzungen für Weiterbildung nicht aus. Liegt sie über 100, ist die Weiterbildungsteilnahme höher, als den regionalen Bedingungen nach zu erwarten wäre. Bei einer Potenzialausschöpfung von 100 Prozent entspricht die Teilnahme der statistischen Erwartung.


Bundesländer: Potenzialausschöpfung zwischen 75 und 120 Prozent

In sechs der 16 Bundesländer bildeten sich 2015 deutlich mehr Menschen weiter, als den strukturellen Voraussetzungen nach zu erwarten gewesen wäre. Mit einer Potenzialausschöpfung von 119,7 Prozent übertrifft vor allem Baden-Württemberg die für das Bundesland erwartete Teilnahmequote deutlich. Einen vergleichbaren Wert erreicht mit 117,3 Prozent nur noch Rheinland-Pfalz. Mit etwas Abstand folgen Sachsen, Thüringen, Schleswig-Holstein und Hessen.

Deutlichere Differenzen lassen sich bei den negativen Abweichungen erkennen. So schöpft das Saarland nur 75,4 Prozent seines Potenzials aus, gefolgt von Berlin (77,4 Prozent) und Hamburg (80,8 Prozent). Unter den übrigen Bundesländern erfüllen nur Mecklenburg-Vorpommern und Bayern fast vollständig die statistische Teilnahmeerwartung.

Den positivsten Trend kann Sachsen verzeichnen. Mit einem Plus von 21,6 Prozentpunkten erzielte das Bundesland zwischen 2012 und 2015 den höchsten Zuwachs. Damit ist es Sachsen auch als einzigem Land gelungen, seine ehemals noch unter der Erwartung liegende Potenzialausschöpfung von 89,3 Prozent deutlich über den Erwartungswert zu heben – auf 110,9 Prozent. Diese Entwicklung ging einher mit einem Anstieg der Weiterbildungsteilnahme auf überdurchschnittliche 13,1 Prozent.


Besonders negative Entwicklung im Saarland

Bei der Hälfte der Bundesländer ist die Potenzialausschöpfung zwischen 2012 und 2015 gesunken. Die Fähigkeit, ihre strukturellen Voraussetzungen für Weiterbildung zu nutzen, hat in diesen Ländern somit abgenommen – u. a. auch in Hessen. Während jedoch Hessen (mit einer Potenzialausschöpfung von 103,5 Prozent) auch 2015 immer noch über dem Erwartungswert liegt, haben andere Länder (in denen die Potenzialausschöpfung schon 2012 unter der Erwartung lag) im Jahr 2015 ihre Potenziale noch weniger nutzen können. Dazu gehören auch Brandenburg und vor allem das Saarland: Während das Land seine strukturellen Möglichkeiten 2013 noch voll ausschöpfen konnte, nutzte es 2015 nur noch drei Viertel davon.


Sehr heterogene Potenzialausschöpfung auf Kreisebene

Weichen bereits die einzelnen Bundesländer deutlich voneinander ab, sind die Unterschiede in den Kreisen erheblich größer. Das gilt sowohl für den bundesweiten Vergleich als auch für die Betrachtung der Kreise innerhalb ihrer Länder. Die größten Unterschiede bei der Potenzialausschöpfung finden sich in einem einzigen Bundesland: So verzeichnet das bayerische Schwabach eine Potenzialausschöpfung von nur knapp 20 Prozent, Neumarkt in der Oberpfalz hingegen fast 170 Prozent. Beide Kreise liegen aber gerade mal 40 Kilometer voneinander entfernt. Es zeigt sich also, dass einige Kommunen ihre sozialen und strukturellen Möglichkeiten kaum ausschöpfen, während andere die statistischen Erwartungen weit übertreffen.

Zu den Regionen, die im Zeitraum 2012 bis 2015 hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, gehören auch die Kreise, die grundsätzlich eine sehr geringe Weiterbildungsbeteiligung aufweisen – so zum Beispiel Fürstenfeldbruck, Prignitz, Lindau, Schwabach, Straubing oder die Grafschaft Bentheim. Zu den strukturell überraschend starken Kreisen zählt der Landkreis Elbe-Elster in Brandenburg mit einer Potenzialausschöpfung von 162,3 Prozent (Weiterbildungsbeteiligung: 14,5 Prozent). Weitere starke Kommunen finden sich vor allem in Rheinland-Pfalz in der Region Worms sowie in den bayerischen Regionen Neumarkt, Würzburg, Donau-Ries, Wunsiedel und Traunstein.

Interessant ist auch, wie sich einzelne Kommunen von 2012/2013 bis 2014/2015 entwickelt haben. Manche haben ihre strukturellen Voraussetzungen für Weiterbildung über diesen Zeitraum immer besser genutzt, andere sind immer weiter hinter die statistischen Erwartungen zurückgefallen. Vor allem starke Regionen mit einer überdurchschnittlichen Potenzialausschöpfung haben sich negativ entwickelt. Dazu zählen u. a. die bayerischen Kommunen Kempten und Altötting sowie St. Wendel und Lüchow-Dannenberg. Deutlich verbessert haben sich hingegen Emden, Starnberg, Steinburg, Fürstenfeldbruck und Görlitz. Hervorzuheben ist das niedersächsische Emden, das 2012/2013 seine strukturellen Voraussetzungen nur rund zur Hälfte nutzte und 2014/2015 die Erwartungen um mehr als ein Viertel übertraf:

Die ostfriesische Hafenstadt erhöhte ihre Potenzialausschöpfung um 66,8 Prozentpunkte auf 127,4 Prozent. Ebenfalls stark entwickelten sich die Landkreise Starnberg (+44,7 Prozentpunkte auf 95,3 Prozent), Steinburg (+38,6 Prozentpunkte auf 144,8 Prozent) und Fürstenfeldbruck (+38,2 Prozentpunkte auf 60,7 Prozent).

Insgesamt erklären regionale Sozial-, Wirtschafts- und Infrastrukturen die Unterschiede in der Weiterbildungsbeteiligung zwischen den Kreisen zu etwa einem Drittel. Es gibt also weitere Faktoren, die in ihrer Summe einen noch größeren Einfluss auf die Teilnahmequoten haben. Dazu zählen u. a. die Qualität der Weiterbildungen, die Erreichbarkeit der einzelnen Angebote, die Vernetzung und Zusammenarbeit der Akteure und nicht zuletzt die Frage, ob Weiterbildungsinteressierte unabhängig beraten werden.

Die Ergebnisse der regionalen Potenzialausschöpfung sind in erster Linie als datenbasierte Orientierungshilfe für die Regionen zu verstehen. Die unterschiedlichen regionalen Trends zeigen, dass sich Kreise und Bundesländer in jede Richtung entwickeln können. Orte, die vormals unter ihren theoretischen Möglichkeiten gelegen haben, können in nur wenigen Jahren die statistischen Erwartungen übertreffen – und umgekehrt. Bei einer so tief regionalisierten Betrachtung beobachten wir zudem auch die unterschiedlichen Effekte zufälliger, ganz spezifischer Ereignisse. Diese unterliegen in der Regel nicht dem Einfluss der kommunalen Verwaltung oder Bildungspolitik. Schon die Insolvenz eines größeren Unternehmens kann sich durch damit verbundene Umschulungen auf das regionale Weiterbildungsverhalten auswirken.

Mit Hilfe der Potenzialausschöpfung lassen sich also die individuellen Weiterbildungssituationen in den Kommunen überprüfen. Auffällige Trends oder extreme Werte können dann der geeignete Anlass dafür sein, die strukturellen Gegebenheiten vor Ort genauer in den Blick zu nehmen und die regionale Weiterbildung zu verbessern.



Karten zu weiteren Indikatoren können Sie unter "Interaktive Karten" abrufen.